
Speicher
Unverpackt einkaufen in Tübingen
Im SPEICHER nahe dem Tübinger Nonnenmarkt kann seit dem Spätsommer 2017 plastikfrei und mit gutem Gewissen eingekauft werden. Dabei liegt der Schwerpunkt vor allem auf einem regionalen Warenangebot und somit auf kurzen Transportwegen. Inhaber Caner Ortanca und seine Ehefrau Andrea Kurrle-Ortanca erzählen von ihrer gemeinsamen Vision.
Frau Kurrle-Ortanca, Herr Ortanca, gerne würden wir Ihren Betrieb kurz kennenlernen. Erzählen Sie uns doch, was genau Sie überhaupt machen.
Im SPEICHER haben wir unsere Idee des plastikfreien und nahezu unverpackten Einkaufens weiterentwickelt indem wir dieses mittlerweile gängige Konzept durch konsequente Ansätze aus der Sozialökonomie und des Postwachstumsgedankens zusammengeführt haben. Zum Team gehören mittlerweile 5 weitere hochmotivierte Angestellte. Wir bieten unseren Kunden die Möglichkeit Ihre Lebensmittel lose und in der tatsächlich benötigten Menge einzukaufen. Damit leisten wir innerhalb unseres Handlungsspielraums einen Beitrag zur Eindämmung der Lebensmittelverschwendung und der Müllvermeidung. Wir wollen jedoch bewusst weitergehen und sehen diese Themen als Symptom einer fehlgeleiteten Art des Wirtschaftens und beschäftigen uns dementsprechend natürlich auch mit der eigentlichen Ursache die im Bereich der gängigen Wachstumsideologie zu finden ist. Der SPEICHER versteht sich deshalb auch als eine Vermarktungsplattform für regionale Erzeuger und ist somit ein Bestandteil der positiven Entwicklung unserer unmittelbaren Region. In diesem Kontext unterstützen wir die grandiose Idee der SOLIDARISCHEN LANDWIRTSCHAFT und sind deren innerstädtische Abholstelle. Dies wiederum geschieht ohne finanzielle Interessen, schärft aber natürlich unser Profil und unterstreicht unser Selbstverständnis. Ein weiterer elementarer Bestandteil des SPEICHERS ist unser Bistro in dem wir die von uns angebotenen Waren auch in verarbeiteter Form anbieten. Außer nichtalkoholischen Kalt- und Heißgetränken gibt es jeden Tag einen Mittagstisch bei dem wir unter Anderem die Waren verarbeiten deren Haltbarkeit ansonsten gefährdet wäre. Gleichzeitig freuen wir uns darüber, dass ein Raum für Kommunikation und Vernetzung entstanden ist, den es in dieser Form noch nicht gab.
Sie bewerben sich beim swt-Umweltpreis 2018. Welches ökologische Engagement Ihres Betriebes liegt Ihnen besonders am Herzen?
Wie bereits erwähnt konzentrieren wir uns außerhalb der Problematik der Lebensmittelverschwendung und des Verpackungswahnsinns, auf die Tatsache, dass die aktuell existente Wachstumsideologie auf einem exponentiellen System basiert und deshalb logischerweise auch von theoretisch exponentiell vorhandenen Ressourcen abhängig ist. Da dies aber nachgewiesenermaßen einer „Realitätsnarkose“ gleichkommt, möchten wir mit unserem Engagement verdeutlichen, dass ein achtsames und ressourcenschonendes Einkaufsverhalten in angenehmer Atmosphäre ohne erhobenen Zeigefinger ein wichtiger Bestandteil für die dringend notwendig gewordene Transformation unserer Gesellschaft sein kann. Letztendlich glauben wir, führt kein Weg daran vorbei das Wissen darüber auf einer Handlungsebene stattfinden zu lassen. Wir bieten somit allen Interessierten die entsprechende Realisierung ihres individuell vorhandenen Handlungsspielraums für einen ökologischen und fairen Einkaufszettel, weil wir überzeugt davon sind, dass viele kleine Schritte mehr als die Summe derer sind und jede noch so kleine Handlung einen Effekt hat. Aus diesem Selbstverständnis heraus sind wir ebenfalls überzeugt von der Idee der solidarischen Landwirtschaft und fungieren als innerstädtische Abholstelle. Darüber hinaus ist der SPEICHER die zentrale Tübinger Anlaufstelle für „Refill Deutschland“. REFILL ist eine private non-profit Initiative die jedem die Möglichkeit bietet seine persönliche Wasserflasche in den teilnehmenden Geschäften unentgeltlich aufzufüllen um somit den Kauf von Getränken in PET – Flaschen obsolet zu machen.
Was genau möchten Sie mit Ihrem Engagement bewirken?
Nicht mehr und nicht weniger als einen auch ökonomisch überlebensfähigen Handlungsraum ohne die notwendigen Aspekte eines zukunftsfähigen Konsums zu vernachlässigen.
Die Praxis ist meist schwieriger als die Theorie. Welchen unerwarteten Herausforderungen mussten Sie sich stellen und welche Rückschläge mussten Sie ggf. sogar verkraften?
Trotz der bisherigen überwältigenden Resonanz für unser Projekt, können wir die Realität um uns herum nicht ausblenden und wollen dies im Sinne des Gelingens natürlich auch nicht. Wir verstoßen bewusst und gewollt gegen herkömmliche betriebswirtschaftliche, angebliche „Wahrheiten“ und verzichten deshalb weitestgehend auf betriebswirtschaftliche Lehrbuch-Effizienz und entsprechende Prozesse, weil diese Herangehensweise unsere Idee konterkarieren würde. Wir haben dadurch natürlich auf kurze Sicht einen ökonomischen Nachteil. Wir sind überzeugt davon, dass ein achtsamerer Umgang mit vorhandenen Ressourcen, mehr Menschlichkeit in Lieferanten und auch Kundenbeziehungen unabdinglich ist und richten deshalb unser Engagement nach den hierfür notwendigen Bedürfnissen aus. Dazu blenden wir die der reinen Ökonomie geschuldeten Aspekte und herkömmlichen Handlungsweisen weitestgehend aus. Die ökonomische Kompensation dieser unseres Erachtens notwendigen Transformation, versuchen wir durch Herzblut und die direkte Einbeziehung und Identifikation unserer Kunden mit diesem Projekt auszugleichen. Es bleibt also spannend und wir freuen uns über jeden weiteren Unterstützer. Trotz all dieser Schwierigkeiten sind wir mittlerweile auf der Zielgeraden, brennen darauf den empirischen Beweis anzutreten, eine Geschichte des Gelingens erzählen zu können und hoffen auf weitere Umdenker, die uns dabei unterstützen den SPEICHER überlebensfähig machen.

Caner Ortanca & Andrea Kurrle-Ortanca
Inhaber & Partnerin
Ort: Tübingen
Gründungsjahr: 2017
MitarbeiterInnen: 4
Website: www.speicher-tuebingen.de